Meine Großmutter Hildegard Czech als junge Frau |
Kindheit in der Deichstraße in Hamburg
Die schöne Deichstraße ist eine der ältesten erhaltenen Straßen in Hamburg. Obwohl sie halb abbrannte, als der Große Brand von Hamburg gerade in dieser Straße im Haus Nummer 42 am Morgen des 5. Mai 1842 ausbrach. Mein Ur-Großvater lebte damals schon in dieser Straße. Später heiratete er meine U-Großmutter und wohnte mit ihr weiterhin in der Deichstraße. Sogenannte 'Kolonialwaren' waren die Hauptumsatzquelle der kleinen Kaufleute, die in der Deichstraße lebten. Mein Ur-Großvater war ein Zigarrenhändler mit einem eigenen kleinen tragbaren Laden, den er meistens in die Innenstadt trug, um die Zigarren dort an den Mann zu bringen. Meine Oma, die ihre Eltern 'Hildegard' tauften, ihre Schwester 'Dorothea' und ihr Bruder 'Maximilian' und selbst meine Mutter noch, erinnerten sich alle gern daran, wie sie als Kinder den Vater bei seinem Laden am Rathaus besuchten und von ihm dann einen Pfennig bekamen, um sich ein paar Bonbons zu kaufen.
Häuser in der Deichstraße, Bildquelle: Wikipedia |
Nikolaifleet und Deichstraße, Bildquelle: Alte Postkarte auf Ebay |
Auch sonst war die Kindheit in der Deichstraße nicht die Schlechteste. Die Menschen, die dort lebten, waren nicht arm - wenn auch nicht wirklich reich. Sie besaßen Speicherhäuser, Läden und Boote, denn die Straße lag ja direkt am Nikolaifleet, einem Kanal des Hafengebietes, in dem sich einstmals der erste Hamburger Hafen befand. Und den Kindern dort ging es durchaus gut - immerhin zählten zu den 'Kolonialwaren' nicht nur Zigarren, Kaffee, Gewürze und Rum, sondern auch Schokolade und Kakao. Da fiel für die Kinder immer mal etwas ab.
Kolonialwarenladen, Bildquelle: Aennes Welt, Panoramio |
So wuchsen Hildegard, Dorothea und Maximilian, alle geboren zu Beginn des 20sten Jahrhunderts in der Deichstraße, behütet und recht glücklich und zufrieden auf.
Jugend, Beruf, Krieg und Danach
Maximilian
Als Jugendliche mussten die jungen 'Czechs' den 1. Weltkrieg miterleben, Maxi zum Glück noch zu jung, um als Soldat eingezogen zu werden... Hildegard lernte Schneiderin, Dorothea Buchbinderin und Maxi, das 'schwarze Schaf' der Familie, wollte keinen 'ordentlichen Beruf' erlernen, befreundete sich durch einen Zufall einen älteren Illusions- und Zauberkünstler, der am Hamburger Hansa-Theater auftrat und begann bei ihm das Zauberhandwerk, Akrobatie und Jonglage zu lernen. Diese Welt faszinierte den jungen Maxi sehr. Er traf berühmte Menschen, wie Hans Albers und später die Commedian Harmonists und er wurde selbst zu einer kleinen Berühmtheit der Varieté- und Zirkusszene und tingelte durch's Land. Als die 'Czechinos' trat er noch in den 70er-Jahren mit seinen beiden Töchtern auf und man erinnert sich noch heute daran, wie er bei Familienfesten gern einen Zaubertrick vorführte, mit Allem jonglierte, was ihm unter die Finger kam und mit EINER Hand auf der Kante der Lehne eines Stuhls Handstand machte...!!!
Hansa-Theater Hamburg, Bildquelle: Alte Postkarte auf Wikipedia |
Was Maximilian während des 2. Weltkriegs machte, ob er jemals Kriegsdienst leisten musste oder ob er vielleicht im Widerstand war, weiß ich leider nicht. Auch meine Eltern konnten mir diese Frage nie beantworten. Und ich habe ihn nie kennen gelernt, denn er starb kurz vor meiner Geburt. Ich erinnere mich aber daran, dass wir immer wenn wir auf dem Friedhof waren, auch sein Grab besuchten und immer EIN Blümchen dort einpflanzten. Es war ein Grab ohne Stein. In der Mitte wuchs eine große Staude der kleinen, einfachen 'Tränenden Herzen' und sonst war das Grab leer. Mich faszinierte sein Grab immer. Und als ich begann, mich für Ahnenarbeit und Magie zu interessieren, war sein Grab das erste, dass ich besuchen wollte. Und da saß ich eine ganze Weile bei ihm und 'plauderte' in meinen Gedanken mit ihm über Magie, Zauberei und Illusionen. Ich fühle mich ihm verbunden.
Hildegard
Hildegard, meine Oma, heiratete einen Gärtner. Sie selbst war selbständige Schneiderin geworden und machte recht erfolgreich Auftragsnäharbeiten und Änderungen und nähte sämtliche Kleidung für die Familie selbst. Ihr erstes Kind bekam sie 1930, ihr zweites - meine Mutter - zu Kriegsbeginn im Jahr 1939. Ihr Mann war ein fanatischer Anhänger Hitlers, und stark enttäuscht, dass er aufgrund eines Gehfehlers nicht eingezogen wurde. Die Familie lebte in einem geräumigen Haus in einer Schrebergartensiedlung. Mein Opa hisste im Garten Hakenkreuzflaggen... Meine Oma war nicht begeistert und hielt Hitler von Anfang an für einen Fanatiker, dem sie nicht über den Weg traute. Sie versuchte meinem Opa das Hissen der Flagge auszureden, aber er ließ es sich nicht nehmen... Hildegard erzog ihre beiden Töchter, Evelyn und Marlis, in dieser gesunden, skeptischen Haltung, hielt sich mit aktivem Protest jedoch zurück, aus Angst, der Familie könnte etwas passieren. Evelyn und Marlis wurden per Kinderlandsverschickung einige Zeit ins Fichtelgebirge umgesiedelt. Als sie nach dem Krieg zurück kamen, war ihr Elternhaus zerstört und die ganze Familie teilte sich einige Zeit eine Nissen-Hütte mit der Familie von Dorothea, die inzwischen auch geheiratet und ebenfalls 2 Kinder hatte. Meine Großmutter nähte für alle und verdiente zusätzlich mit dem Nähen noch Essen als Tauschobjekte. An gute Stoffe war schwer heranzukommen. Teilweise wurden Kleidungsstücke aus alten Flieger-Fallschirmen gemacht.
Näherin, Bildquelle: Academia.ru (Wikipedia) |
Mein Opa baute das Haus in der Gartenanlage wieder auf und die Familie zog nach etwa 2 Jahren wieder ein. Es war eine schwere Zeit. Kohlen wurden von den Zügen geklaut, es gab Essensmarken, Mehl, Butter und Milch waren sehr knapp. Aber es ging bergauf. Nur für meine Oma persönlich nicht, als mein Opa anfing sie nach Strich und Faden und zu jeder Gelegenheit zu betrügen, sie das mitbekam, vor Eifersucht ganz krank war, ihm vor den Häusern anderer Frauen mit der kleinen Marlis an der Hand auflauerte..... Die enttäuschte Liebe prägte ihr Leben von da an... Sie hatte ihren Mann nie mehr ganz für sich, brachte es aber auch nicht über's Herz, ihn ziehen zu lassen.... Sie wurde zynisch. Nahm ihr Los mit schwarzem Humor und liebte ihn einfach weiter. Er starb nur ein Jahr nach meiner Geburt... Zum Glück lernte ich meine Großmutter noch etwas kennen, erinnere mich sogar an sie, und ganz besonders daran, dass sie mit mir immer Papiermännchenreihen ausschnitt. Das faszinierte mich sehr. Sie starb, als ich 4 Jahre alt war.
Dorothea
Meine Großtante Dorothea lernte ich noch besser kennen. Sie lebte noch einige Jahre. Sie hatte ihr Leben lang in Buchbindungsbetrieben und anderen großen Fabrikebn gearbeitet und war ein regelrechter 'Kerl'. Ihre Kinder sind beide ausgewandert. Eines nach Spanien, eines nach Australien.
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Vielleicht berichte ich irgendwann in der Zukunft auch nochmal über meine Ahnen väterlicherseits oder zwei andere wunderbare Ahnen, zwei Menschen, die ich besonders schätze, mit denen ich spirituell sehr verbunden war und deren Tode ich bewusster miterlebte als die meiner Großeltern, die ich ja leider alle schon sehr früh verlor.
Dieses war ein persönlicher Beitrag als die meisten anderen auf diesem Blog, und ich hoffe, er hast Euch interessiert. Gesegnet seien meine Ahnen, denen ich so viel verdanke...
Sehr emotional dieser Beitrag.
AntwortenLöschenDanke fürs teilen.
Auch mir gefällt dein Beitrag sehr gut!!
AntwortenLöschenDanke und liebe Grüße .
Es ist immer wieder interessant die Geschichte der Ahnen zu erforschen.Damit ehren wir sie.
AntwortenLöschenDanke ,liebe Ina, in Hamburg und Schleswig Holstein spielt sich auch ein Teil meiner Geschichte ab.
Liebe Grüße Betty
Ist doch wirklich sehr spannend - und eine ganz andere Geschichte als aus der Bergregion der Alpen.
AntwortenLöschenLang leben die Ahnen ;-)
durch uns und mit uns und in uns - oder wie war das? *Gebet rekonstruier*
das ist ein sehr fasziniernder Beitrag...
AntwortenLöschenDake für den Einblick in deine familien geschichte
Ein sehr faszinierender und interessanter Beitrag! Danke für´s Reinstellen!
AntwortenLöschenLieben Gruß,
Manja
www.manja-herkner.de
Wow, das war echt schön geschrieben und sehr interessant =) Vielen Dank für die beiden Geschichten! Vor allem auch für die passende Bilderflut!
AntwortenLöschenMein Artikel ist noch im Werden... ich habe auch erstmal etwas über die Orte recherchiert, an denen meine Uroma gelebt hat, um ein Gefühl für den gesellschaftlichen Hitnergrund zu bekommen. Möchte aber nochmal ein paar Details mit meiner Mutter klären, sofern sie sich noch erinnert... =)
Sooo interessant, da bekomme ich glatt Lust selber mal nachzuforschen.
AntwortenLöschenIch komme übrigens aus dem Fichtelgebirge, ob sich unsere Ahnen wohl mal begegnet sind?...
Vielen Dank für diese offenen Einblicke, sowas berührt mich immer sehr...
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